Interview mit ÖGNI Geschäftsführer Peter Engert
Peter Engert ist Geschäftsführer von ÖGNI und seines Zeichens ein profunder Kenner der Materie. Die ÖGNI – Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft, ist eine NGO zur Etablierung der Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche. Ziel der ÖGNI ist es, den Mehrwert von Gebäudezertifizierungen aufzuzeigen, um umwelt- und ressourcenschonende Gebäude, mit hoher wirtschaftlicher und sozialer Effizienz zu schaffen.
Welchen Einfluss haben Klimaziele, Green Deal und Taxonomie Verordnung auf die Bauwirtschaft und den Wohnbau?
Engert: Das Thema ist absolut aktuell – wir sehen dies im Moment an der großen Anzahl an Anfragen, allerdings weniger aus dem Bereich Wohnbau. Das liegt vor allem daran, dass gemeinnützige Wohnbauunternehmen Finanzierungen von der öffentlichen Hand bekommen und keine Bank von einem Projekt überzeugen müssen. Anders ist es bei privat finanzierten Projekten, denn in der EU-Taxonomie Verordnung vom 1.1.2021 ist klar definiert, dass Nachhaltigkeit weniger Risiko mit sich bringt, als nicht nachhaltig zu sein. Für finanzierte Banken bedeutet Nachhaltigkeit also auch die Minimierung des Kreditrisikos.
Private Bauträger haben somit ein Interesse, Projekte bzw. Gebäude zertifizieren zu lassen. Worin liegt nun der Unterschied zwischen der EU Taxonomie Verordnung und den europäischen Qualitätszertifikat DGNB?
Engert: Bei einer Zertifizierung nach DGNB werden alle Säulen der Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. D. h. wir reden hier von Umwelt, Sozialem und Ökonomie. Dabei wird die Nachhaltigkeit als Ganzes bewertet. Wenn ein Projekt beispielsweise aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht besonders gut ist, kann man dies mit einem mehr an Umweltmaßnahmen oder sozialer Nachhaltigkeit wieder ausgleichen. Das lässt Spielraum, um der Nachhaltigkeit mit kreativen Ideen zu begegnen. So werden auch Innovationen als Teil der Nachhaltigkeit gefördert. Wenn beispielsweise neue Technologien verwendet oder gar erst getestet werden, ist das ein positives Nachhaltigkeitskriterium. Hingegen kennt die Taxonomie nur schwarz oder weiß, erfüllt oder nicht erfüllt. Wird eine grüne Wiese verbaut bzw. versiegelt kann man das Ergebnis nicht dadurch verbessern, indem man irgendwo anders 100 neue Bäume pflanzt.
Heißt also, dass mit der Taxonomie ein Projekt ein grünes „Mascherl“ als Basis für die Finanzierung bekommt?
Engert: Grünes Mascherl würde ich zurückweisen, denn man muss echt was tun, damit das Ziel erreicht wird. Die EU wehrt sich vehement gegen Greenwashing. Es gibt schon die ersten Prozesse gegen Unternehmen, die etwas behauptet haben, was nicht stimmt. Es geht um beweisbare Fakten, und wenn deren Überprüfung positiv ausfällt, geht die Ampel auf Grün.
Was passiert in Zukunft mit Unternehmen, die nicht zertifiziert sind oder die das Thema auf die lange Bank schieben?
Engert: Wann immer Fremdkapital in einem Projekt drinnen steckt, werden Banken in Zukunft nach der Taxonomie fragen: Grün oder rot? Das gilt auch für Bestandsimmobilien, von denen 97% irgendeinen Sanierungsbedarf haben, um taxonomie-grün zu werden. Ich schätze so ab 2025 werden Banken beginnen, Kredite aufgrund des höheren Risikos zu verteuern. Möchte man dem Ganzen ausweichen, ist darauf zu achten, taxonomie-grün zu werden.
Im Rahmen von Taxonomie-Checks geben unsere Auditoren Empfehlungen ab. Das kann beispielsweise die thermische Sanierung oder der Tausch der Fenster sein. Bestandsgebäude müssen aber auch beweisen, dass sie klima-resilient sind.
Beim Neubau ist es einfacher, da bereits in der Planung darauf geachtet werden kann, dass neben dem Energiebedarf auch Ziele und Vorgaben hinsichtlich Biodiversität, Wasser, Abfall und Recycling erfüllt werden. Das große Thema ist dabei die Biodiversität. Hier gibt es aktuell heftige Diskussionen und man wird sehen, wie das gelöst wird. Im Extremfall gibt es für Projekte auf der grünen Wiese kein Geld von der Bank mehr.
Mit der Taxonomie Verordnung wird das Thema Ökologie und Klimaschutz auf die Frage reduziert, bekomme ich für ein Projekt Fremdmittel oder nicht?
Engert: Korrekt. Und das ist aus meiner Sicht auch gut. Bisher wurde in Umwelt- und Klimaschutz nur von Menschen investiert, für die das Thema schon immer wichtig war. Alle anderen haben zwar gesagt, dass es super sei, aber am Ende gab keiner dafür Geld aus, weil es keinen Benefit oder Gewinn brachte. Das ist jetzt vorbei.
Das heißt, Projektbetreibern mit viel Eigenkapital wird die Taxonomie Verordnung egal sein.
Engert: Nein wird es nicht. Möchte man eine Immobilie wieder einmal verkaufen, wird es schwer sein, ohne taxonomie-grün einen Interessenten zu finden. Zu einer wertbeständigen Immobilie gehört in Zukunft auch die Erfüllung der Taxonomie Verordnung.
Wie ist es in Zukunft mit Zulieferbetrieben? Diese sind in einer Ökobilanz zu berücksichtigen.
Engert: In jedem Fall, denn in den Zertifizierungen berechnet man ja CO2-Footprint. Sinnvollerweise aber nicht als Momentaufnahme auf den Investitionszeitpunkt bezogen, sondern immer auf die gesamte Projekt-Laufzeit. Wenn die Betriebskosten um 20 bis 30 % höher oder niedriger sind, dann sind die einmaligen Investitionskosten bei einer Laufzeit von 80 Jahren wahrscheinlich nicht entscheidend. Neben der Erfüllung der Taxonomie Verordnung wird zukünftig verstärkt das ESG-Reporting (Anm.: Environmental Social Governance) verlangt. Da geht es um viel mehr als nur um den Umweltschutz. In einigen Jahren werden die meisten Unternehmen so einen Bericht abgeben müssen. Die Folge: Ist beispielsweise ein Betrieb in einem taxonomie-rotem Gebäude eingemietet wird das Rating im ESG-Report schlechter sein. Gewerbliche Mieter werden aus solchen Gebäuden einfach weggehen.
Nicht nachhaltig zu sein, wird somit zum Imageproblem für Unternehmen. Korrekt?
Engert: Definitiv. Es geht aber noch weiter. Die ESG-Reports werden ja auch von den Banken gelesen und deren Kalkül ist einfach: ist man als Unternehmen nicht nachhaltig, ist man aus Sicht der Bank als Kunde mit deutlich mehr Risiko behaftet. Das Gute daran ist, dass alle Unternehmen gleichermaßen betroffen sind. Problematisch wird es mit Betrieben außerhalb der EU. Wie weit bei Lieferanten beispielsweise aus China diese Anforderungen durchsetzbar sind, wird sich zeigen.
Vielleicht gehen wir noch einmal zurück zur Baubranche. Wie wird sich denn die Architektur und die Bauwirtschaft entwickeln?
Engert: Eine spannende Frage, bedenkt man, dass in 18 Jahren in Österreich auf einer Baustelle keinen CO2 mehr verbraucht werden darf. Also, es darf kein einziger Diesel-LKW fahren, es darf kein Abfall erzeugt werden, und so weiter. Ein Weg in die richtige Richtung könnte beispielsweise eine modulare, industrielle Vorfertigung sein. Wohin die Reise wirklich geht, ist über weite Strecken aber noch nicht absehbar.
Wie werden wir 2050 Wohnen und Leben?
Engert: Ich denke nicht viel anders als heute. Die Gebäude werden smarter sein, mehr Technik, besser saniert und es wird Konzepte geben, die weniger Boden verbrauchen, CO2 einsparen und weniger Energie brauchen. Was wir aber in Wirklichkeit brauchen, ist ein verbessertes Rundherum. Ich denke an einen guten öffentlichen Verkehr, vor allem in ländlichen Regionen. Vielleicht geht der Weg wieder mehr in Richtung Zentren und Quartiere, wo man Dinge einfacher und besser optimieren kann.
Wir haben eine veritable Energiekrise. Wie wird sich das Heizen und die Stromerzeugung entwickeln?
Engert: Ich glaube, mittlerweile haben wir uns verabschiedet von dem Gedanken der Energie-Autarkie. Das wir aus heutiger Sicht kaum zu realisieren sein. Es wird eine Mischung aus Photovoltaik, Wind und Wasser sein, aber auch die Erdwärme bietet eine riesige Chance. Konzepte, die Wohnen und Arbeiten in unmittelbarer räumlicher Nähe ermöglichen, werden sinnvolle Lösungen für die Zukunft sein. Und es werden noch viele Ideen kommen, wo wir sagen, warum haben wir da nicht früher dran gedacht.